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Horst Samson                                                            

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„Auf der Suche nach der Übersetzung des Lebens in nachhaltige Verse, drücke ich mein Dasein aus wie andere ihre Zigaretten.“ Die Sprache von Horst Samson gleicht der Urgewalt des Meeres, das mal tosend über einem zusammenbricht, um kurz darauf sich an Gedankenklippen brechend sanftmütig und beinahe versöhnlich zurück ins Meer des Seins rollt. Mehrfach hören lohnt sich - nicht nur des Vortrags wegen."

                                                                                       „Lesezimmer“, Mainz 2017

 

Horst Samson

Der Diskurs des Dichters.

Eine Meditation über die Kunst des hohen C

 

Ich bin Dichter, ein Genie, was sonst, und ein Selbstverräter! Ich suche, denke, schreibe und reibe mich an der Welt, der unvollkommenen, an mir selbst, dem Unfertigen, reibe mich an anderen, an Ideologien, Träumen und Wunden, an der Hoffnung. Sie stirbt zuletzt, aber am Ende immer. Wenn Charon uns ans andere Ufer rudert, wissen wir, wir sind gescheitert. 

 

Ich schreibe und rufe um Hilfe unter der Last der eigenen Haut. Auf der Suche nach der  Übersetzung des Lebens in nachhaltige Verse drücke ich mein Dasein aus, wie andere ihre Zigaretten. Nur ist Dichten ein langsames Sterben unterwegs in Bedeutungen und Zusammenhängen, in Lauten und leisen Tönen, in Buchstaben, die einem schreibenden Niemandling die Welt bedeuten. Und manchmal weine ich auch, weil ich unterwegs etwas finde, was mich berührt, betrifft, betroffen macht - ein unscheinbarer Kieselstein durchzogen von Quarzfäden so dünn, wie die eigenen Adern oder die Linien meiner Hand, ein leeres Schneckenhaus, eine ängstlich fliehende Wolke, eine am Rande der Nacht übrig gebliebene Träne im Gras, ein vernichteter Hase auf der Fahrbahn. Es gibt diese Augenblicke, in denen du weinst, weil dir der erste oder dritte Satz deiner Sinfonie nicht gelingt, die du in dir hörst, aber nicht aufs Papier übertragen kannst, dass sie so polyphonisch klingt, wie sie gerade durch all deine Zellen tönt.

 

Ich spiele gerne mit den weißen und schwarzen Tasten des Lebens, der Polysemie der Zeichen, mit Sprache, Pronomen, Metaphern, mit Bildern und dem Rhythmus der Existenz, mit Hals-, Bein- und Zeilenbruch. Ich bin ein Musiker, ein Spieler, das war ich schon immer, lange bevor ich mein erstes Instrument erlernte.

 

Seit ich mich erinnern kann suche ich nach dem inneren Monolog der Dinge, dem Mechanismus der Realität, nach dem Wert der Wörter, der Sprache, nach der Bedeutung des Sagbaren und des Unsäglichen, des überhaupt nie Sagbaren.

 

Ich habe immer gesucht, ich bin im Sternbild des Zwillings geboren, ich begreife schnell und neige dazu, im nächsten Augenblick aus Langweile das kurze Gedicht, das ich soeben entdeckt, gedichtet, geliebt und gelebt habe, zu vergessen, es nicht aufzuschreiben, es vergehen zu lassen dahin von woher es zu mir kam. Oft muss ich mich zwingen, es aufzuhalten, aufzuschreiben auf ein Schmierblatt, eine Zeitungsecke, auf dass es verweile bei mir eine Zeit lang in den Niederungen dieses geborgten Lebens. Ich kenne es doch, ich habe es mir aufgesagt, mehrfach, ich kenne es wirklich in- und auswendig, genügt das nicht an Selbstzerfragung, Selbstzerlegung, Selbstzerfleischung? Ich könnte es laut- und schmerzlos verschwinden lassen in unbekanntes Niemandsland, wie Marienkäferchen, denen ich oft als Kind im Banat - ahnungslos, wo Pommern liegt - zuraunte, sie mögen doch eiligst fliehen, denn „ihre Väter“ seien dort im Krieg. Und Pommernland sei schon bis auf die letzten Buchstaben abgebrannt.

 

Als Kind nahm ich gerne Spielzeuge auseinander, Maikäfer, Uhren, das Radio meiner Eltern, weil ich ansonsten gestorben wäre vor Neugier zu sehen, wie groß eigentlich die Musikanten sind, die da Tag und Nacht Walzer, Märsche und Polkas spielten, und wer um des Kinderhimmels willen in dem gar wundersamen Kasten das Licht herstellt für dieses magisch tanzende grüne Auge, in das ich ewig starren konnte, fasziniert von – ich weiß bis heute nicht wovon. 

 

Der Weg, ich sage es auch, ist das Ziel und das Ziel liegt im Weg wie die Kunst im Versuch. Da angekommen, nach Tagen, Wochen, manchmal nach Jahren dann völlig am Ende eines fertigen Gedichts, beginnt die Suche aufs neue, die Versuchung, zu streichen, umzuschreiben, zu unterstreichen, den nächsten Versuch zu suchen, ihn zu versuchen, denn es sucht der Dichter – wenn er es ernst meint – in  sturer Beharrlichkeit nach sich in der Welt dort draußen, drogiert und sehnsüchtig rückt er wie verrückt Hindernisse beiseite oder weg in den Weg, um sich brennend vor Neugier in die Tiefe zu stürzen, weil er gar nicht anders kann als der Welt auf den Grund zu gehen, auf seine Art und  in der ersten oder - etwas distanzierter - in der dritten Person, um die Zwänge der Existenz aufzubrechen, sie zu beobachten, zu kosten, zu beschreiben. 

 

Der Dichter ist ein Silbentaucher im berüchtigten Wörtersee nach dem Schlüssel der Sprache mit der sich sein Da-Sein in der Welt beschreiben lässt. Er sucht schon im Morgengrauen bis weit nach Mitternacht den Ariadnefaden zu entwirren, ihm aus dem Nichts zu folgen, aus einer Ahnung heraus, hinaus ins Unbekannte, sucht die Vernetzungen, Verletzungen, aber auch Glück und den Unrat in der Seele zusammen, alles aus dem er wie dieser eine Tag besteht, den er soeben überlebt. Warum das so ist, wie es ist,  will er durchdringen, wissen, begreifen, schmecken, notfalls daran verzweifeln, zerbrechen, scheitern. Hat der Dichter erst einmal Blut geleckt hält ihn nichts und niemand mehr auf, dem Seidenfaden des Lebens ins Sinnhafte oder ins Ruchlose zu folgen, sich mit den Tücken und Regellosigkeiten der Existenz, dem Glanz und Desaster der Wahrhaftigkeit herumzuschlagen wie ein Boxer mit falscher Auslegung.

 

Aber ich bin Dichter, was sonst! Und ich will die Welt beschreiben, die Landkarte der Wahrheit, und – ich gebe es zu – ich träume, ich, Don Samson, will die schwerverletzte Welt in einem Atemzug und mit einem einzigen Strich retten, sie von den Philistern befreien, ich, ohne Pferd und lange Haare, aber bewaffnet mit Papier und Bleistift, ein Beobachter, ein Weltvermesser an der Küste des kurzen Lebens, der sieht, wie einer nach dem anderen draußen auf des Alltags Wellen mitsamt seiner Nussschale versenkt wird, wie sie versinken, hilflos um sich rudern, wenn nicht vorher schon die Haie sie reißen oder die Grammatik sie verschlingt. Die Sprache lebt in Wahrheit und sie lebt gefährlich.

 

Jeder Tag ist ein Gedicht ist eine Zerreißprobe, denn jeder Tag ist blutig, bis in die Stille der Buchstaben hinein und die Raubtiere der Meere, des Festlandes und der Lüfte, die Ungeheuer der Geschichte und der Zukünfte, der Regionen und Religionen riechen ihre Beute über enorme Entfernungen. Jeder weiß – Kavafis ruft es uns zu -, sie werden kommen, todsicher, die Barbaren. Doch ich, der Dichter, muss bleiben im Müssen, im Schreiben, in den Worten, so als wären sie meine Jünger, muss überleben im Gedicht und mit ihm. Das ist alles, mehr erwarte ich nicht, denn es geht nicht anders, auch wenn ich mich, müde des Entzauberns, vor dem Schreiben drücke wie der im Fluge plötzlich zweifelnde Trapez-Artist in der Zirkuskuppel. Aber ich bin mutig, weil ich Angst habe, Angst, dass mir das Leben verloren geht, spurlos wie eine davonhüpfende Grille, meine verlorene Lesebrille, meine unauffindbar verlegten Tage, dass ich mir selbst verloren gehe in der Finsternis der Dokumente, des Kapitals und in den Archiven der Macht, verschwinde mitsamt meinen Sätzen in einem Ordner, abgelegt, mit Vorsatz, Fußnoten und Nachsatz versehen, nicht aus Versehen, sondern aus Kalkül, weil ich als Informant nicht taugte, vom Verrat nichts verstehe, weil ich mich schlecht verbeuge, verbiege, verlüge, weil ich vom Geschäft nichts begreife und Mehrheiten nie gesucht. Es liegt dann der Dichter im Regal, Jahre, Jahrhunderte lang. Ewig vielleicht atmet er den Staub seiner zu Unrecht zur Ruhe gelegten Existenz. Da lebt der Gedanke auf, die Ironie des Schicksals, „Sesamson, öffne dich!“, der Gedanke nach Flucht. Aber – welch ein Widerspruch - mit seinem Schreiben schlägt der Dichter doch auch die Flucht in die Flucht. Und trotzdem hat er Angst davor, fürchtet, Auge in Auge mit dem Oberst einmal nicht mehr die Kraft zu haben, Ich zu bleiben und widerstehen zu können, dem Ruf der Sirenen, den Verlockungen des Schlafes. Denn es ist die Macht, die einen wie ihn verfolgt, es ist die Macht, die das Werkzeug besitzt, seine Ohnmacht in ein dunkles Monument zu meißeln, die Überlebenden zu warnen vor einem schrecklichen Frieden der Diktatur. Es ist die Macht, daran scheitert die Sprache und der Dichter, scheitert die Poesie, das Leben, die Liebe vielleicht, aber nicht die Zeit. Das ist der perfekte Traum, der uns bleibt, ein Traum, mehr nicht, der Traum von einer anderen Zeit, ein Traum, der nachts lautlos wie eine Geliebte zu mir ins Regal schlüpft und sich an mich kuschelt, der meine Seele am Leben erhält, der sie befeuert, anfeuert, das Schweigen zu zertrümmern und sich zu stellen gegen jenes und jene, die Träume töten, Wortwelten vernichten in den Tiefen des Alltages. Es ist ein irres Gefühl, mitten im Meer der Sprache zu ankern.

 

Jeder Dichter vagabundiert wie Odysseus durch die Jahrhunderte, über die Meere und durch Himmeln, durch seine Ruinen und Siege, streift durchs Universum wie der Wind, von da nach dort und zurück, erkannt nur von seinem Hund. Aber an einem Ort der Welt, da braucht er ein Stück Land, auf dem ein Unbehauster seine Sprachburg bauen kann, trutzig, aus Ziegeln, Zeilen und all den Erinnerungsfetzen, aus wichtigem Nichtigem und nichtigem Wichtigem, aus Sequenzen, Glück und Ewigkeiten, aus Farben, Tönen, Strichen, aus viel Licht und mit großen Fenstern, Stein auf Stein.

 

Und an jedem Tag, an dem ich nicht schreibe, streift der Dichter als Immobilienhai durch die Erdteile, durch alle Herren Länder, will Häuser in vielen Teilen dieser Welt, will leben nicht nur als Davongekommener, sondern als Ankommender, daheim auf den Kontinenten dieser Erde. Vielleicht liegt es daran, dass ich während der Deportation meiner Eltern geboren wurde, in einer Erdhütte, ewig weit fort, wie Vater sagte, hinter der letzten Grasnarbe dieser Welt, vielleicht hat es wirklich damit zu tun, dass ich immer dürste, nach einem solchen Stück Grund, Bau-Grund, Haus, sogar Heimat würde ich sagen – Architektur und Grammatik, Energie und Sprache, in der in aller Fülle und Farbigkeit das Leben steckt, von dem Ezra Pound sagt, dass es vorbeischlüpft wie eine Feldmaus.